Sonntag, 1. November 2009

Thema verfehlt

von Else Nganana

Die Geschichte außerhalb der „ersten Welt“ soll in einem ambitionierten Buch- und Ausstellungsprojekt unter dem Titel „Die Dritte Welt im zweiten Weltkrieg. Ausstellung über ein vergessenes Kapitel der Geschichte“ neu geschrieben werden. Zehn Jahre lang haben die Projektverantwortlichen diese Terra incognita erforscht. Nun werden die Resultate ihrer Recherchen einem deutschen Publikum präsentiert.

Die Ergebnisse dieser Mühen sind ernüchternd: In deutlicher Anlehnung an koloniale Inszenierungen werden auf großen Schrifttafeln (hier und da aufgelockert durch kleine Bilder auf denen nichtweiße Menschen zu erkennen sind), in deutscher Sprache jene „Dritte-Welt“- Bewohner/innen ausgestellt und beschrieben, um die es in der Ausstellung laut Ankündigung gehen soll. Doch entscheidende Aspekte und Ebenen der damaligen „Dritte-Welt“-Lebenswelten – das, solange die Akteure nicht Weiß sind, neben Afrika auch Australien, USA und Europa einbezieht –werden nirgendwo angesprochen. Stattdessen finden sich fehlerhafte Bildunterschriften. Jahres- und Opferzahlen und selbst bedeutende Kriegsschauplätze werden großzügig an andere Orte verlegt – was soll´s, „Dritte Welt“ ist „Dritte Welt“.

So ist beispielsweise das ikonographische Photo, das in der Ausstellung mit „Kind im zerstörten Nanking“ betitelt wird, tatsächlich wenige Monate vor der Zerstörung Nanjings (auch in Deutschland hat sich zwischenzeitlich die Eigenbezeichnung durchgesetzt), zu Beginn des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs in Shanghai aufgenommen worden. Der Fotograph H. S. „Newsreel“ Wong schoss das Photo unmittelbar nach dem Bombenangriff auf eine Bahnstation im Süden Shanghais, wo am 28. August 1937, 1.800 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, auf ihre Evakuierung warteten. Weniger als 300 Menschen überlebten den Angriff - unter ihnen das auf dem Photo abgebildete verletzte Baby, das ein Helfer wenige Minuten nach dem Angriff aus den Trümmern geborgen hatte.
International hagelte es Proteste gegen das brutale Vorgehen der japanischen Armee, die wehrlose Zivilisten mitten in den Städten bombardierte. Das Photo stand für die schwächsten Opfer des Krieges und läutete den Beginn der anti-japanischen Propaganda der Alliierten ein. Das japanische Militär setzte daraufhin ein Kopfgeld auf den chinesischen Photografen aus und versuchte, es als inszeniert zu entschärfen. Wong musste unter britischen Polizeischutz gestellt werden und floh kurze Zeit später mit seiner Familie nach Hongkong. Nach Schätzungen des Life Magazins in seiner Ausgabe vom 14. Oktober 1937, hatten innerhalb von nur zwei Monaten nach der Veröffentlichung weltweit etwa 136 Millionen Menschen dieses Photo gesehen. Noch heute ist das Bild „iconic“ und hat einen ungeheueren Wiedererkennungswert.

Es hätte im Verlaufe einer zehnjährigen Recherche möglich sein müssen, bei Google-Bilder oder Wikipedia unter „Shanghai 1937“ nachzusehen. Der grobe Fehler wäre sofort aufgefallen. Stattdessen taucht das Photo auch in der für Schulen bearbeiteten Buchausgabe, unter „Nanking 1938“, auf.

Ebenso ärgerlich ist der Umstand, dass Aung San, der Vater der weltweit bekannten burmesischen Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, nicht nur eine falsche Schreibweise seines Namens erfährt (nämlich: Aung Sang), sondern dass er darüber hinaus mit Kollaborateuren wie den Chinesen Wang Jingwei in eine Reihe gestellt wird. Es ist historisch erwiesen, dass Aung San, der in der burmesischen Marionettenregierung unter japanischer Herrschaft Kriegsminister war, für die Unabhängigkeit Burmas eintrat und erklärter Antifaschist war. Wie alle „kolonialen Subjekte“ seiner Zeit, hatte er die Wahl zwischen „Pest und Cholera“ – den Kolonialherren oder den Japanern. Und wie andere Nationalisten Südostasiens auch, hatte Aung San unter Berufung auf japanische Unabhängigkeits- und Antikolonialismus-Versprechungen nur scheinbar kollaboriert, um dann die Burmesische Nationalarmee, die die Japaner ursprünglich gegen die Briten aufgebaut hatten, in einer Revolte gegen die japanische Herrschaft anzuführen. Diese Tatsachen werden in der Ausstellung unterschlagen, so dass Aung San als reiner Kollaborateur erscheinen kann. Auch hier werden geschichtliche Aspekte bewusst ausgespart um einer vereinfachenden, eurozentristischen Perspektive Genüge zu tun.

Dass diese Perspektive durchgehend erhalten bleiben soll, lässt sich bereits durch den Titel erahnen: „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Ausstellung über ein vergessenes Kapitel der Geschichte“ ist aus mehreren Gründen, eine höchst problematische Überschrift: Trotz der in den 80er Jahren geführten Diskussionen und der daraus resultierenden Ablöse des herablassenden und verallgemeinernden Begriff „Dritte Welt“, wird er für die Ausstellung aus der Mottenkiste geholt, um dann konsequent, ohne Anführungszeichen verwandt zu werden.

Irritierend ist auch der Subtitel „...ein vergessenes Kapitel der Geschichte. Mit dem Begriff „vergessen“ setzt sich der Ausstellungsmacher als derjenige in Szene, der unwissenden Mitbürgern „unbekannte“ Ereignisse Nahe bringt. Auch damit knüpft er an koloniale Inszenierungen an. Denn „vergessen“ ist der Pazifikkrieg, der von 1937 bis 1945 währte und rund 30 Mio. Tote forderte, weder bei den 1,3 Milliarden Chinesen, noch sonst irgendwo im Pazifikraum – oder gar in der englischsprachigen Welt. Vielmehr gibt es in Wissenschaft, Filmindustrie und Literatur eine Fülle von Werken, die auf ihn Bezug nehmen. Hiervon findet sich in der Ausstellung jedoch leider wenig.

Höchst fragwürdig ist es auch, geografisch weit auseinander liegende Schauplätze und komplexe Vorgänge unter „EIN vergessenes Kapitel“ zusammen zu fassen – auch dann, wenn alle diese „Kapitel“ außerhalb der „ersten Welt“ liegen.

Die FAZ-Journalistin Regina Mönch – sicherlich durch eine von dem Journalisten und Ausstellungsmacher Karl Rössel unter seinen Kolleg/innen sehr erfolgreich verbreiteten Pressemitteilung inspiriert - nennt die Werkstatt der Kulturen „selbsternannte Erinnerungsverwalter“. Dieser Vorwurf sollte jedoch an die Ausstellungsmacher gehen – denn mit der grob fehlerhaft zusammengefassten Version ihrer „Weltgeschichte“ werden sich die allerwenigsten „Dritte-Welt“-Bewohner identifizieren können; zeugen die inhaltlichen Fehler und Mängel doch von einem sehr vereinfachten Bild der tatsächlichen, komplexen Dimension des Zweiten Weltkriegs außerhalb Europas.

Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass ein Grossteil der Welt vor 1945 von den Westmächten aufgeteilt und als Kolonien beherrscht wurde. Rassismus war in dieser kolonialen Welt fester Bestandteil des Alltags, schließlich legitimierte er diese Herrschaft. Die nahe liegende Frage wäre nun gewesen: Wie haben Nichtweiße unter diesen Umständen den Krieg erlebt? Hierzu gibt es eine Fülle neuerer Forschungsergebnisse aus Geschichte, Politik- und Kulturwissenschaften – in diesem Projekt wurden sie jedoch offensichtlich nicht berücksichtigt.


Auch Stimmen und Bilder prominenter Zeitzeugen, wie beispielsweise die des wohl bekanntesten und einflussreichsten Autors und Filmemachers Afrikas, den erst 2007 verstorbenen Sèmbene Ousmane, sucht man in der Ausstellung vergebens. Angesicht des Umstandes, dass Sèmbene Ousmane als ehemaliger Kolonialsoldat und Kriegsgefangener in Deutschland, mit Emitai (1971) und Camp de Thiaroye (1989) die beiden wichtigsten, mehrfach ausgezeichneten Spielfilme zum Thema drehte, ist dies mehr als überraschend.

Und warum taucht eine so bedeutende Figur wie Frantz Fanon lediglich randständig, auf einer kleinen Tafeln, mit einem Passphoto und einem kurzen Zitat auf, wo sich doch der „erste Welt“-Protagonist, der Ausstellungsmacher selbst, auf ganzen 96 Tafeln äußern darf?

Auffallend ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass auf Seiten der „bösen Dritte-Welter“ keineswegs so sparsam mit Photographien und Biographien umgangen wird.

Subhas Chandra Bose und Hadj Amin el-Husseini beispielsweise werden jeweils mehrere Bilder (eines zeigt Hadj Amin el-Husseini sogar mit „dem Führer“ höchstpersönlich) sowie ausführliche Biographien zugestanden - keinem Protagonisten auf Seiten der „Guten“ wird auch nur annähernd soviel Platz eingeräumt.

So kommt man unweigerlich zu der Frage: Was genau sollen die (sicherlich zumeist
Weißen deutsche Besucherinnen und Besucher) durch diese Ausstellung erfahren? Worin besteht das Motiv der Projektmacher? Worin ihre These? Wer sind tatsächlich die wichtigen Protagonisten in diesem Projekt und wer ist nur Statist, um Ereignisse in Übereinstimmung mit politischen und ideologischen Vorstellungen zu konstruieren?


Die Ausstellung ist eine Reproduktion kolonialer Inszenierungen und damit tendenziös.

Schwierig ist nicht nur der Umstand, dass sich der Ausstellungsmacher als Hauptprotagonist raumgreifend gegen seinen Antagonisten Adolf Hitler und dessen Side-kicks inszeniert (während er selbst seine „treuen Askaris“ sicher hinter sich weiß), schwierig ist vor allem die undifferenzierte Anwendung von Begriffen, die aus der Geschichte Europas oder den USA heraus entstanden sind, hier jedoch ganz selbstverständlich auf den Rest der Welt, angewandt werden.

In dieser sehr vereinfachten Darstellung der „Dritten Welt“, (gänzlich herausgelöst aus dem komplexen, gesamthistorischen Kontext der damaligen zwangskolonisierten Welt) zeigen sich denn auch praktischerweise nur noch die für Europäer relevanten Gegensatzpaare; Alliierte und Kollaborateure, „gute Eingeborene“ und „schlechte Eingeborene“ also, die, die sich hinter ihren Weißen Herren versammeln – ganz so wie es die Regeln der Kolonialschmonzette und der kolonialen Völkerschau gebieten.

Man darf davon ausgehen, dass die Ausstellung, wenn sie denn in einer englischsprachigen Version vorläge, längst lautstark kritisiert worden wäre. Hierzulande fehlt jedoch bislang die längst überfällige ernsthafte Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Rassismus. Das daraus resultierende Selbstbild der Deutschen (nicht etwa als „Weiße“ mit entsprechender Perspektive sondern vielmehr) als „neutral“ und „objektiv“ und daher befähigt die „Anderen“, (wie Aborigines, Araber, Juden, Maoris, Muslime, Navahos, Schwarze, Türken also) zu präsentieren und vor allem zu repräsentieren, schlägt sich in diesem Projekt einmal mehr ausgesprochen unerfreulich nieder.

Ereignisse werden in Übereinstimmung mit politischen und ideologischen Vorstellungen der Projektverantwortlichen konstruiert, vergessen, ignoriert oder besonders hervorgehoben und produzieren ein ungenaues und verzerrtes Gesamtbild.

Möglicherweise hätte das Projekt anders aussehen können, wenn das Team der Ausstellungsmacher/innen, „Recherche International e.V.“ sich nicht aus Weißen Deutschen, ohne jeglichen biographischen Bezug zum Thema zusammensetzen würde; oder wenn wenigstens der Kooperationspartner „AfricAvenir International e.V.“ den einen oder anderen aktiven Afrikaner in seiner Mitte wüsste. Vielleicht hätte dies die in Deutschland so selbstverständliche Kontinuität der kolonialrassistischen Inszenierung wenigstens bei diesem einen Projekt brechen können. Doch dafür ist es, wie es scheint, noch viel zu früh.

siehe auch:

der braune mob
die dritte welt im zweiten weltkrieg
How to write about Africa